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In der Schriftenreihe „Klassik und Moderne" veröffentlicht die Klassik Stiftung Weimar die wissenschaftlichen Erträge ihrer transdisziplinären Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte seit 1750. Den Ausgangspunkt bildet das Zeitalter Goethes und Schillers, das als Formierungsphase der ästhetischen Moderne begriffen wird. International renommierte Wissenschaftler beleuchten aus unterschiedlichen Perspektiven jene kulturhistorischen Traditionen, die im epochengeschichtlichen Kontext der Weimarer Klassik begründet wurden und bis in die Debatten der Gegenwart fortwirken.
Zwischen der späten Weimarer Republik und der frühen Bundesrepublik wurde der Begriff ›Humanismus‹ in der Publizistik so oft verwendet wie nie zuvor. Intellektuelle aus unterschiedlichen Milieus verstehen den Zusammenbruch der Weimarer Demokratie und den Nationalsozialismus nicht allein als politisch-soziale Krise, sondern als Krise der Kultur. Die Berufung auf den Humanismus dient dabei oft als eine Art ›Bollwerk‹ gegen den ›Biologismus‹ und den als ›Nihilismus‹ kritisierten Werterelativismus der Moderne. Zugleich wird der klassisch-idealistische Humanismus selbst als krisenhaft und revisionsbedürftig angesehen, woraus sich die Forderung nach einem neuen Humanismus ergibt.
Die Beiträge dieses Bandes rekonstruieren aus interdisziplinärer – v.a. literatur- und philosophiegeschichtlicher – Perspektive verschiedene Humanismus-Konzepte, die in den 1930er und 1940er Jahren kursieren, sowie die zeitgenössische Humanismus-Kritik. Untersucht werden u.a. Varianten einer intellektuellen Berufung auf die Antike und ›Goethezeit‹, das Konzept des ›Dritten Humanismus‹, die Humanismus-Kritik Heideggers, Gehlens und Plessners, die Exildebatte um den ›sozialistischen Humanismus‹, Thomas Manns ›neuer Humanismus‹ sowie die juristische Diskussion um den Menschenwürde-Artikel im Grundgesetz der Bundesrepublik.
Der seit 1903 überwiegend in Italien lebende Autor Rudolf Borchardt forderte in seinen Reden und Essays mit immer neuen Akzentuierungen eine umfassende Aneignung alteuropäischer Traditionsbestände. Angetrieben wurde er dabei von der Vorstellung, in einem von unwiederbringlichen Verlusten bestimmten Zeitalter zu leben. Am Beginn des mit Nachdruck betriebenen Aneignungsprojektes stand 1912 die Diagnose: „Verschwunden ist die Arena von Olympia“.Der Rückgang auf die griechische und römische Antike bildete für Borchardt zeit seines Lebens das Fundament aller Bemühungen um eine Wiederbelebung des alteuropäischen Kulturerbes. Zugleich profilierte Borchardt jedoch auch verschiedene nachantike Epochen als klassische Perioden, wobei sich normative und stiltypologische Bestimmungen wechselseitig überlagerten. Für Borchardts Orientierung an klassischen Kulturepochen waren Johann Wolfgang Goethe und August Wilhelm Schlegel wichtige Gewährsleute. Eine vergleichbare Bedeutung attestierte er erst wieder seinen Zeitgenossen Stefan George und Hugo von Hofmannsthal.
So sehr Goethe seine Theorie von der dynamischen Einheit der verschiedenen Naturformen als wesentlichen Beitrag zum naturwissenschaftlichen Diskurs seiner Zeit verstand, so wenig Wertschätzung erfuhr er in einer zunehmend auf physikalische und mathematische Methoden setzenden scientific community. Goethes zentraler Gedanke, dass das Gemeinsame der unterschiedlichen Naturgestalten nicht in abstrakten Allgemeinbegriffen zu fassen sei, sondern sich in der Übersicht über die vielgestaltigen Phänomene anschaulich zeige, fand dagegen früh Aufnahme in die Humanwissenschaften. Wie Goethe bei seiner Naturbetrachtung standen auch die Geistes- und Kulturwissenschaften nach 1800 vor der Herausforderung, eine als zunehmend unübersichtlich empfundene Lebenswelt beschreibend zu ordnen, ohne dabei die lebendigen Entwicklungen in abstrakten Begriffen stillzustellen. Die Beiträge des vorliegenden Bandes widmen sich der langen Reihe namhafter Autoren, von Wilhelm von Humboldt über Droysen, Dilthey, Simmel und Wittgenstein bis zu Adorno und Jünger, die sich programmatisch auf Goethes Morphologie bezogen haben. Der Band deckt eine bislang noch wenig beleuchtete ideengeschichtliche Kontinuität auf und liefert damit zugleich einen systematischen Beitrag zur aktuellen Diskussion um eine Theorie der Unbegrifflichkeit.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts durchläuft der europäische Liebesdiskurs einen tiefgreifenden Wandel, der sich als Verbürgerlichung eines zuvor aristokratisch geprägten Schreibens über Liebe charakterisieren lässt. Verwoben ist dieser Wandel mit jenen allgemeinen soziokulturellen Veränderungen, die um 1800 die Moderne einleiten.
Als Resonanzraum und Experimentierfeld unterschiedlicher Liebeskonzeptionen hat das lyrische Werk Johann Wolfgang Goethes einen wesentlichen Anteil an der Entstehung des modernen Liebesdiskurses. In den Gedichten der Leipziger, der Straßburger und der Frankfurter Jahre entfalten sich ebenso wie in den Texten der Weimarer Schaffensphasen immer neue Poetiken der Liebe, die mit zeitgenössischen Positionen von der Aufklärung bis zur Spätromantik konkurrieren. Als einzigartig erweisen sich hierbei Goethes Forminnovationen, die oftmals mit interkulturellen Referenzen einhergehen: Volkstümliches Liedgut, antike Verskunst und persische Liebesrhetorik bilden beziehungsreiche Konfigurationen, die in der Lyrik des 19. und 20. Jahrhunderts ein vielstimmiges Echo finden.
Im 19. Jahrhundert durchläuft die künstlerische Beschäftigung mit der antiken Welt einen weitreichenden Transformationsprozess, der insbesondere durch die historische und archäologische Erforschung des Mittelmeerraums vorangetrieben wird. Zwar bleibt das Altertum als Gegenstand künstlerischen Schaffens omnipräsent, doch verliert es im Zuge seiner wissenschaftlichen Erschließung jene Normativität, die ihm im europäischen Klassizismus eine unangefochtene Vorrangstellung gesichert hat.
Die archäologische und quellenkritische Erforschung der Antike stellt deren ästhetische und historiographische Vergegenwärtigung vor unterschiedliche Herausforderungen: Literarische und bildkünstlerische Imaginationen müssen die neuen Erkenntnisse aufgreifen und avancieren daher nicht selten zu Speichermedien für altertumskundliches Wissen. Die historiographische Vermittlung hingegen ist auf die Darstellungsstrategien der Literatur und Malerei angewiesen, da sich die Vergangenheit nur mittels ästhetischer Organisationsformen zum Sprechen bringen lässt.
Die moderne Tragödie formiert sich um 1800 in beständiger Auseinandersetzung mit einem philosophischen Tragödiendiskurs, der überkommene, noch vornehmlich an der aristotelischen Dramenästhetik orientierte Gattungskriterien in den Hintergrund treten lässt und kulturtheoretisch fundierte Definitionsversuche in den Mittelpunkt rückt. Die Spannung zwischen philosophischem Diskurs und konkreter Theaterpraxis führt im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts zu dramenästhetischen Innovationsschüben, welche die Physiognomie der modernen Tragödie nachhaltig verändern.
Friedrich Nietzsche hat zahlreiche Schriftsteller der klassischen Moderne fasziniert. Insbesondere die visionären Aufbruchsappelle seiner späten philosophischen Schriften sind von vielen Künstlern begeistert aufgenommen worden. Während die frühe Nietzsche-Rezeption von enthusiastischen Huldigungen, mitunter jedoch auch von scharfen Attacken geprägt ist, finden sich in den Jahren nach 1900 häufig vermittelnde Stellungnahmen. Zu den prominentesten Vertretern einer kritisch distanzierten Anerkennung gehört Thomas Mann, der sich schon früh gegen Nietzsches Vitalismus wendet, zugleich aber die psychologische Hellsichtigkeit des Philosophen würdigt.
Der vorliegende Sammelband untersucht die Literatur der klassischen Moderne und berücksichtigt dabei vor allem deren Verflechtung mit jenen kulturpsychologischen, gesellschaftskritischen und epochendiagnostischen Diskursen, die Nietzsche angestoßen und radikalisiert hat. Rund zwanzig Beiträge analysieren Nietzsches Einfluss auf Schriftsteller wie Hugo von Hofmannsthal, Stefan George, Georg Trakl, Franz Kafka, Thomas Mann, Robert Musil, Gerhart Hauptmann und Gottfried Benn. In komparatistischen Ausgriffen wird zudem die Nietzsche-Rezeption in Frankreich beleuchtet.